Neulich habe ich etwas getan, was ich – zum Glück – extrem selten tue. Ich habe Rasen gemäht. Und es hat sich sehr falsch angefühlt. Während ich das laute, schwere, nervige Ding so vor mir her durch den Garten schob, wurde mir klar, wie unendlich bescheuert diese Tätigkeit ist. Ich schwitzte und fluchte, aber meine Anstrengungen haben zu keinerlei Verbesserung der Welt geführt – im Gegenteil. Als ich mich umdrehte, war hinter mir nichts als eine Schneise der Verwüstung. Wo gerade noch Schnecken an Löwenzahn geknabbert hatten, lag jetzt ein zerschreddetertes Löwenzahnblatt neben einer zerschredderten Schnecke. Ich dachte darüber nach, dass Wiesen, die länger nicht gemäht werden, voller Kräuter und Blumen stehen, während das Mähen dafür sorgt, dass keine Pflanze außer dem Gras lange überleben kann. Ich erinnerte mich daran, mal gehört zu haben, dass Gras aufgrund der weltweiten Beliebtheit von Rasen die am weitesten verbreitete Monokultur ist und wie jede Monokultur katastrophal für Ökosysteme (was ja auch nur ein gehobenes Wort für Leben) ist.
Falls jetzt die Frage aufkommt, weshalb ich es überhaupt getan habe: es sollte ein Gefallen sein für eine Freundin, in deren Haus ich einige Zeit unterkommen durfte und der ich zum Dank bei der Gartenarbeit helfen wollte. Ich habe es also nicht für mich getan, sondern weil jemand anderes, in desssen Schuld ich stand, es so wollte. Ich bin mir sicher, dass der Großteil der Menschen, die täglich die Natur zerstören (sei es durch Abholzen, Mähen, Tiere töten, zubetonieren, etc.) es tun, weil jemand oder etwas über ihnen (der Markt, der Chef, der Lohn) es so gebietet und nicht aus Lust und Laune.
Doch auch das gibt es. Der stereotypische Familienvater, der sich samstagnachmittags die Zeit damit vertreibt, Hecken zu stutzen und den Rasen zu massakrieren und sich jederzeit gerne als “echter Outdoormensch mit einer Leidenschaft für den Garten” bezeichnet. Oder eben die erwähnte Freundin, die sich nichts sehnlicher gewünscht hat, als dass ihr Garten “mal wieder auf Vordermann gebracht wird”, damit er “schick aussieht”. Mir ist wirklich unbegreiflich, wie man eine künstlich kurz gehaltene Rasenfläche, die völlig einheitlich und langweilig aussieht, schöner finden kann als das, was sich natürlicherweise im Herst entwickeln würde: Pilze, Kräuter, Instekten, hier und da ein Eichhörnchen, das nach heruntergefallenen Eicheln sucht. (Selbige Freundin lässt sich auch jeden Frühling die Äste ihrer Obstbäume stutzen, damit sie nicht so viel Obst abwerfen. Reife Äpfel, Birnen und Pflaumen sieht sie nämlich als Problem, das es zu managen gilt, also eine Aufgabe mehr auf ihrer To-Do Liste.)
De Ästhetik des Antropozäns ist die Unterwerfung der Natur. Den eigenen Garten “unter Kontrolle” (also möglichst weit von einem natürlichen Ur-Zustand entfernt) zu haben, gilt als Statussymbol in der Nachbarschaft.
Nach dieser Erfahrung ging ich mit anderen Augen durch die Welt und als ich einige Zeit später in einem Baumarkt war, fiel mir auf: die überwältigende Mehrheit der Dinge, die als Garten-Equipment verkauft werden, sind ausschließlich dazu da, irgendetwas Natürliches zu bekämpfen, beschneiden, zerstören, einzudämmen oder vorzubeugen.
Wieder einige Zeit später sprach ich mit einer Bekannten über ihren neuen Job in einem Kindergarten. Sie berichtete mir, dass sie den Beruf gewählt habe, weil sie Kinder so liebe und frustiert sei, weil sie im Alltag gar nicht die Zeit und den Rahmen habe, wirklich auf die sie einzugehen. Stattdessen werden die Kleinen abgefertigt, als wären sie Produkte ohne Individualität, die man möglichst schnell schulreif kriegen muss.
Da sah ich die Parallele zwischen diesen beiden Erfahrungen: sei es im Kindergarten, in der Schule, auf dem Großbauernhof oder im eigenen Vorgarten.
Überall ist unsere Gesellschaft so strukturiert, dass Leben in vorgepresste Formen gedrückt, gemanaaged, kontrolliert und gefügig gemacht werden soll.
Das ist schon so normalisiert, dass Menschen dabei noch meinen, sie würden sich um den Garten, die Kinder, etc. “kümmern” oder “pflegen”. Das, was sie tatsächlich pflegen, sind konstruierte Vorstellungen darüber, wie das Objekt der Pflege. sein sollte und nicht wie es ist oder sein will.
Für diejenigen, die emotional noch nicht so abgestumpft sind und es merken, ist das oft eine extrem frustierende Erfahrung. Sind sie doch in den jeweiligen Beruf gegangen, weil sie das, mit dem sie sich beschäfitgen, lieben. Und dann finden sie sich in einer Situation wieder, in der sie dazu gezwungen werden, es lieblos zu behandeln, gar zu vernichten.
Der Lehrer, der Leistungsdruck auf seine Klasse ausüben muss, damit sie durch die nächste Prüfung kommen und merkt, wie seine Schüler*innen unter dem Druck zerbrechen. Die Umweltwissenschaftlerin, die die Bodenqualität analysiert, damit ihr Gutachten dann die wissenschafltiche Basis liefert um das Land in Bau- oder Ackerland umzuwandeln. Der Nachbar meines Opas, der Bauer geworden ist, weil er die Natur liebt und nun jeden Samstag gegen Pestizidverbote demonstriert, weil das System nun mal so funktioniert, dass er ohne das Töten finanziell nicht überleben kann.
Hinter all dem stecken natürlich systematische und finanzielle Gründe, aber ich glaube, die Lösung kann trotzdem ganz klein anfangen. Wer sich Zeit nimmt und genau hinsieht, kann wahrnehmen und fühlen, dass das, was uns umgibt (seien es Kinder oder der Garten) keine tote, leere Masse ist, die darauf wartet, von uns geformt zu werden. Sondern Leben, das eigene Dynamiken, Bedürfnisse, aber auch Fähigkeiten mitbringt, denen wir einfach nur Raum geben müssen, um sich zu entwickeln.