“Pass auf, mein Freund. Ich schreibe dir aus der Wüste. Ich schreibe dir, weil wir dich brauchen. Wir sehen gegen den Himmel das Starren der Wand gewölbt in den Sturz. Hoch hinab peitscht Schaum in das Schwarz der Täler. Dort ist unsre Arbeit. Wir bauen ein Boot. Wir wollen nicht untergehen.”
Diese Zeilen stammen aus einem Hörspiel des Schriftstellers Christian Geißler aus dem Jahr 1993.
Um sie zu verstehen, muss man wissen, dass Geißler als im Jahr 1928 geborener Deutscher stark geprägt war von den grausamen Verbrechen der Nazi-Zeit und der Scheinheiligkeit der Nachkriegsgesellschaft. Als erster Autor stellte er die Frage, wie der Horror des Faschismus geschehen konnte und geschehen gelassen wurde und widmete einen Großteil seines literarischen Schaffens der Aufarbeitung und Bekämpfung des Nationalsozialismus. Auch das Boot in der Wüste dient bei Geißler als Metapher für Antifaschismus.
Ein Boot in der Wüste zu bauen, das wirkt nicht nur unnötig, sondern geradezu töricht, verrückt, wahnhaft – zumindest, solange die Wüste noch Wüste ist. Doch setzt einmal die Sturzflut ein, wie sie in Wüstengebieten keine Seltenheit ist, dann rettet das eben noch für unnötig gehaltene Boot plötzlich Leben. In diesem Moment ist es zu spät, noch mit dem Bootsbau zu beginnen. Nur wer in die Zukunft geblickt, an die kommenden Gefahren gedacht hat, kann überleben und vielleicht auch das Leben der Mitmenschen retten.
Was in Geißlers Worten mitschwingt ist die Mahnung, dass man den Faschismus nur verhindern kann, wenn man ihn frühzeitig erkennt und sich entsprechend verhält. Wenn er einmal da ist und die Sturzflut über uns herein bricht, dann ist es zu spät. Dann ist der Schneeball schon zur Lawine geworden und lässt sich nicht mehr aufhalten. Wenn Faschisten einmal an der Macht sind, ändern sie Gesetze, lassen Gegner*innen verfolgen, zementieren ihre Macht. Der richtige Zeitpunkt, Faschisten zu bekämpfen, ist bevor sie an der Macht sind.
Denn die Machtergreifung und Umsetzung ihrer menschenfeindlichen Pläne ist nur der letzte Schritt einer Entwicklung und Veränderung, die Faschisten schon lange vorher in Gang setzen, um überhaupt an die Macht zu kommen.
Menschen lediglich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer demographischen Gruppe auszugrenzen, zu deportieren, einzusperren, in manchen Fällen zu töten, das kann man nicht von heute auf morgen, ohne massiven Widerstand aus der Bevölkerung zu kreieren.
Deshalb eskalieren Faschisten den Diskurs schrittweise, bis die Grenzen des Denkbaren irgendwann so weit in Richtung Normalität verschoben sind, dass sie ihre grausamen Pläne in die Tat umsetzen und dabei sogar auf breite Unterstützung hoffen können. Erst werden bestimmte Menschengruppen als lästig oder schädlich deklariert. Wenn diese Botschaften eingesickert sind, gehen Faschisten dazu über, ihnen sogar ihre Menschlichkeit an sich abzusprechen. So wie Trump, wenn er Puerto Ricaner als “Müll” oder Immigranten als “Tiere” bezeichnet. Das alles bereitet die kognitive Grundlage, um tatsächlich politisch gegen diese Menschen vorzugehen. Mit stückweise immer härteren Gesetzen wird die Gesellschaft daran gewöhnt, Grausamkeiten gegen Randgruppen zu akzeptieren, bis der moralische Kompass irgendwann gar nicht mehr anschlägt, egal was passiert. Dann können Faschisten dazu übergehen, ihre Feindbilder zu vernichten, so wie Trump, der jetzt Konzentrationslager bauen lassen will.
In den USA mag es nun zu spät sein, den Faschismus zu verhindern. Er wird ab Januar im weißen Haus sitzen und alles, was bleibt, ist zu versuchen, den Schaden zu minimieren. Doch auch hier in Europa sind wir auf ähnlichem Kurs wie die USA, lediglich mit etwas zeitlicher Verzögerung. Wenn wir nicht in ein paar Jahren eine faschistische Regierung haben wollen, dann müssen wir jetzt dagegen halten, wenn die Stimmungsmache gegen Menschen mit Migrationshintergrund, gegen Queere, Frauen und Menschen mit Behinderung immer extremer wird. Wir müssen uns vorbereiten. Jetzt und nicht erst, wenn es zu spät ist. Wir brauchen ein Boot in der Wüste. Bevor die Sturzflut ankommt.
Dazu wollen und werden wir mit unseren Beitragen online und offline beitragen.