Aufgedeckt: die geheime Wahrheit hinter der Letzten Generation
Als erstes Mal: sorry für den click-bait im Titel. Hier wird weder eine geheime Verschwörung aufgedeckt, noch darüber spekuliert, dass die LG von Russland finanziert wird oder was das LG-Führungsteam privat macht. Statt die LG zu entblößen, werde ich dreckige Geheimnisse der bürgerlichen Gesellschaft im Spätkapitalismus thematisieren, die die LG (unfreiwillig) aufdeckt. Ich weiß, der große Hype um die Klimakleber ist längst vorbei, doch die Fallstricke der kapitalistischen Gesellschaft aufzudecken, das ist doch ein zeitloses Vergnügen.
Es gibt vieles, was man über die Letzte Generation sagen könnte, aber eine Sache finde ich besonders bemerkenswert: die Vehemenz mit der sie immer wieder betonen, dass sie das, was sie tun, nicht tun wollen. Das scheint fsat zu einem Markenkern geworden zu sein, einer Kernbotschaft. Wenn ich an die LG denke, dann denke ich an Aktivist*innen, die mit einer Hand am Asphalt klebend ein Interview in die Kamera sprechen und dabei immer beginnen mit: „wir wollen das nicht tun, wir finden das auch blöd, aber…“. Das ganze ist dann gefolgt von einer Erklärung, dass es angesichts der Klimakrise eben wichtig sei, den Status Quo zu stören, und so weiter und so fort.
Interessant finde ich dabei, dass diese Bekräftigung des eigenen Unwillens für die eigentliche Aussage gar nicht nötig wäre. Genauso gut denkbar wäre eine Gruppe Aktivist*innen, die erklären, dass sie angesichts der Weltlage gerne den Status-Quo unterbrechen und weil es das Richtige ist, auch Lust darauf haben und Freude verspüren. Mich persönlich würde das eher motivieren, mitzumachen, als wenn die Menschen, die für eine Sache einstehen, diese selbst scheiße finden.
Wozu also das Ganze? Offensichtlich ist es kein Zufall, sondern eine bewusste strategische Entscheidung, dass diese Aussage in jedem Interview platziert wird. Was also denkt sich das Kommunikationsteam – oder wer auch immer dieses framing ausgearbeitet hat – dabei?
Die einfache Antwort ist: man will den Menschen, die man durch das Blockieren der Straße ärgert (bzw. diejenigen, die vor dem Fernseher sitzen und mit den Blockierten mitfühlen), beschwichtigen, indem man ihnen klar macht, dass man wenigstens selbst keinen Spaß dabei verspürt, während man sie ärgert. Ein verzweifelter Versuch, diejenigen, deren Wut man auf sich zieht, davon zu überzeugen, dass man kein diabolisch schlechter Mensch ist, sonder lediglich jemand, der etwas sinnvolles tut, auch wenn es unangenehm ist. Dabei frage ich mich jedoch, ob das den gewünschten Effekt hat. Warum sollte es Brummi-Bryan, der sich maßlos über den Stau aufregt, trösten, dass alle Beteiligten die Situation scheiße finden? Wäre es auf andere Weise nicht viel leichter, Sympathien auf sich zu ziehen? Man könnte zum Beispiel zu den Fenstern der Autofahrenden gehen und ihnen Kekse geben, so wie es XR in ihrer Anfangsphase bei Straßenblockaden getan hat? Oder man veranstaltet irgendwas lustiges, zur Unterhaltung derjenigen, die im Stau stehen müssen, wie ein Konzert, Theaterperformance oder sonstiges? Dann würde die langweilige Blockade wenigstens zu einem Spektakel werden, auch für diejenigen, die im Stau stehen. Auch damit hat XR gute Erfahrungen gemacht und die LG hat mittlerweile auch daraus gelernt und ihre Schlüsse gezogen (Stichwort Strategiewechsel zu ungehorsamen Versammlungen).
Der Punkt hier ist: der Zweck der Unwillens-Bekundungen kann nicht nur im Wecken von Sympathien liegen, denn dafür gibt es durchaus effektivere Mittel. Ich glaube, es steckt noch etwas anderes dahinter. Was wenn „wir wollen das nicht tun?“ das Pendant dazu ist, was bekanntlich die beliebteste Ansage von LG-Hassern an die Klimakleber ist, nämlich „Geht Arbeiten!“?. Klingt vielleicht erstmal unlogisch, aber hear me out:
Wie Raphael Thelen in seinem Newsletter vom Oktober 2023 brilliant zusammengefasst hat, zeigt sich in diesem Schlachtruf der Schmerz darüber, selbst arbeiten zu müssen. „Aber vor allem klingt es verletzt, als würden die Menschen unter ihrer Arbeit leiden – die Geschichte von der sinnstiftenden Tätigkeit ist nichts als eine fette Lüge des Spätkapitalismus: Die meisten Arbeitenden werden doch immer noch ins Joch gezwungen.“ In einer Gesellschaft, die immer weiter fragmentiert und auseinanderdriftet, ist vielleicht eine der letzten gemeinsamen Erfahrungen, gegen den eigenen Willen gezwungen zu sein zu arbeiten. (Warum die Lohnarbeit für 99% der Menschen ein Zwang ist und nicht wie ein paar Superreiche und neoliberale Tech-Bros gerne verkünden, ein „blessing“ oder eine „Berufung“, ist ein Thema für ein anderes Mal.)
Was Thelen, der selbst Mitglied bei der LG ist, zu analysieren verpasst, ist der Fakt, dass die LG sich längst ihre eigene Version des selben Narrativs gesponnen haben. Wollen Sie vielleicht dafür sorgen, dass man sich mit ihren identifizieren kann, indem sie verkünden: auch wir machen diese Erfahrung, auch wir tun Dinge, die wir nicht wollen, auch wir leiden mit euch. Selbst wenn das, was sie tun (mittwoch morgens auf Straßen kleben) etwas gänzlich anderes ist als ein Tag im Büro oder auf dem Bau, so wollen sie doch sagen „wir sind wie ihr“, vereint in der Erfahrung gegen den eigenen Willen zu leben.
Ich glaube nicht, dass dahinter bewusstes Kalkül steckt. Vielleicht sind sich die Aktivist*innen selbst nicht bewusst über das, was sie mit ihrer Aussage transportieren. Doch in einer Welt, die beherrscht ist von Sätzen wie „morgen muss ich wieder ins Büro, gar kein Bock“ und in der Burnout, Erschöpfung und Depressionen auf einem historischen Höchststand sind, ist man halt so daran gewöhnt, als Mensch unter Zwangsarbeit zu stehen, dass man meint, so signalisiere man anderen, dass man auch ein Teil der Gesellschaft ist.
Mein Problem damit ist folgendes: als Aktivist*innen, die die Gesellschaft transformieren wollen, ist es unbedingt notwendig, den schädlichen Narrativen unseres Systems etwas entgegenzusetzen. Wir müssen aufzeigen, dass eine Welt denkbar und möglich ist, in denen Menschen frei sind, nicht gegen ihren Willen zu arbeiten. Ich weiß, dass der letzte Satz bei vielen Menschen instinktiv Ablehnung hervorruft und genau darin besteht das Problem. Auch wenn es in diesem System nicht denkbar ist, so sind doch andere Systeme denkbar, in denen weder die Natur ausgebeutet noch Menschen zu de-facto Zwangsarbeit gedrängt werden. Den Großteil der Geschichte (nämlich genau der, der in jedem Geschichtsunterricht schön ausgelassen wird), lebte die Menschheit unter eben solchen freien Systemen. Die große Lüge unserer Zeit – nämlich, dass der Kapitalismus alternativlos sei, bzw. die einzige Alternative in einem ähnlich schrecklichen Staats-Sozialismus bestünde – werden wir nicht los, wenn wir uns nur leicht abgewandelte Versionen von schädlichen Narrativen schaffen. Ich glaube, als Aktivist*innen sollten wir uns nicht dem Chor derjenigen anschließen, die jammern, dass sie gegen ihren Willen leben, sondern vormachen, dass es möglich ist, selbstbestimmt und glücklich zu sein. Darin besteht wirklich Neuigkeitswert. Ich glaube außerdem, dass viele Menschen uns gerne und neugierig zuhören, wenn wir berichten, wie man sich unabhängig machen, (größtenteils) ohne Geld oder Chefs leben, Wohnraum enteignen und kollektivieren kann und so weiter und so fort. Besonders wenn wir aufzeigen, dass das nicht nur möglich, sondern sinnvoll ist, weil es gleichzeitig der Weg zu persönlicher Freiheit als auch der Weg zu einer besseren Welt ist.
Man kann es nicht oft genug sagen: eine bessere Welt muss denkbar werden, bevor sie zur Realität werden kann. Deshalb werden hier in der nächsten Zeit unter anderem weitere Artikel folgen zu funktionierenden, alternativen Systemen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.